Willst du Stress?
Stress. Diesen Zustand, dieses Gefühl, kennst du sicherlich. Du stehst irgendwie unter Spannung, hast viel um die Ohren, so wirklich angenehm ist es meistens nicht. Alle reden auch von Stress, sind gestresst von der Arbeit, von den Kindern, von ihrem Partner oder der ewig langen To-do-Liste. Auf jeden Fall kann uns Stress im Weg stehen, wenn wir unsere Ziele erreichen wollen. Er kann uns lähmen oder uns die Energie rauben, die wir benötigen, um voran zu kommen, und uns schlussendlich sogar krank machen. Lass uns deshalb das Thema Stress etwas genauer betrachten.
Der Psychologe Richard Lazarus hat sich viel mit Stress beschäftigt. Auf Basis seiner Arbeiten wurde 1984 ein Stressmodell veröffentlicht. Darin wird analysiert, wie Stress funktioniert. Dieses Modell gibt uns neben einem tieferen Verständnis für Stress direkt auch Ansätze, um besser mit ihm umzugehen. Deshalb werden wir uns das jetzt im Detail anschauen.

Der erste Schritt in diesem Modell ist deine Wahrnehmung. Ein Reiz, ein sogenannter „Stressor“, kommt in dein Bewusstsein. Hier steckt auch für uns gleich eine wichtige Erkenntnis: Stress ist subjektiv. Ein Reiz, der für dich Stress auslöst, muss dies für andere noch lange nicht tun. Du brauchst dich also nicht wundern, wenn jemand anderes in Situationen cool bleibt, die dich total stressen. Umgekehrt gilt das natürlich genauso. Als nächstes beschreibt das Modell deine Bewertung dieses Reizes:
1. Primäre Bewertung - Zunächst bewertest du, ob der Reiz positiv, irrelevant oder gefährlich (und damit stressend) ist. Wenn der Reiz für dich negativ ist, findet noch eine Unterteilung statt, und zwar abgestuft nach der Gefährlichkeit:
a) Herausforderung: Ich kann die Situation bewältigen.
b) Bedrohung: Ich werde einen Schaden erleiden.
c) Verlust: Ich habe bereits einen Schaden erlitten.
2. Sekundäre Bewertung – Hast du den Reiz als negativ bewertet und eingeordnet, bewertest du im nächsten Schritt deine Ressourcen, also alles, was dir zur Verfügung steht, mit dem Problem umzugehen. Wenn deine Ressourcen nicht ausreichend sind, wird Stress – also das Gefühl in dem Sinne, wie wir es kennen, ausgelöst.
Diese Bewertungen passieren unbewusst. Für dich natürlich ab jetzt nicht mehr, weil du sie gerade kennenlernst und deshalb in Zukunft weißt, was passiert. Aber trotzdem laufen diese beiden Schritte ohne dein Zutun ab. Das bedeutet also, wenn du Stress hast, hat dein Unterbewusstsein bereits entschieden: Hier ist eine gefährliche Situation, ich kann mit dieser nur schwer oder gar nicht umgehen, deshalb wird es anstrengend oder ich werde einen Schaden erleiden. Siehst du, was da passiert? Stress ist gar kein diffuses Gefühl von Spannung oder so, sondern eine Entscheidung deines Körpers und deines Geistes, auf eine Situation zu reagieren, um dich zu schützen. Im Grunde also absolut positiv!

Das diese Reaktion häufig in ungünstigen Situationen kommt, irrational erscheint und dir im Wege stehen kann ist allerdings nicht wirklich positiv. Aber wir haben ja auch schon über einige Dinge gesprochen, die dir ermöglichen, dieses Problem ein wenig zu umgehen. Denn wenn du in der primären Bewertungsphase entscheidest, dass der Stressor positiv oder irrelevant ist, hört die Reaktion an der Stelle auf und der Rest ist egal. Trotzdem gehen wir an dieser Stelle von einem Reiz aus, der Stress für dich ausgelöst hat. Als nächstes aktivierst du nämlich – wieder unterbewusst! - eine sogenannte Coping-Strategie zur Bewältigung des Stresses. Diese Strategie hängt von der Situation und auch von deiner individuellen Gedankenwelt, deinem Charakter, ab.
Problemorientiertes Coping: Du versuchst, am Reiz etwas zu ändern. Du suchst Informationen, du handelst oder handelst nicht mehr, du passt dich den Gegebenheiten an.
Emotionsorientiertes Coping: Du versuchst, deine emotionale Reaktion abzubauen. Du tust etwas gegen die Angst, die Traurigkeit, den Stress an sich.
Bewertungsorientiertes Coping: Du versuchst, deine Bewertung der Situation zu ändern. Du setzt dich also nicht direkt mit dem Problem oder den Emotionen auseinander, sondern setzt schon in der Bewertungsphase an.
Du kannst dir vermutlich schon denken, welche Strategie ich am besten finde, oder? Problem- und emotionsorientiertes Coping helfen dir auch, mit einer Situation umzugehen. Um wirklich zu lernen, echt zu wachsen und dauerhaft stärker werden, sollten wir uns aber auf das bewertungsorientierte Coping konzentrieren. Das Hauptziel dabei ist, die Situation als Herausforderung zu sehen, um daran zu wachsen. Das Problem an sich und die Emotionen, die damit verbunden sind, werden so automatisch gleich mitbehandelt.
Beobachte einmal, wenn du Stress hast, wie du damit umgehst. Dadurch kannst du viel über dich lernen.
Lernen ist generell ein gutes Stichwort, denn darum geht es auch im letzten Schritt des Stressmodells. Das ist nämlich die Neubewertung. Wenn du gelernt hast, mit einer Situation umzugehen, wird aus einer Bedrohung eventuell eine Herausforderung. Deine Bewertung ändert sich. Genauso wirst du dazu tendieren, eine erfolgreiche Strategie immer wieder einzusetzen. Es kann also sein, dass du gewisse Situationen immer wieder problem- oder emotionsorientiert löst, obwohl du sie durch bewertungsorientiertes Coping für immer aus deinem Leben streichen könntest.
Abschließend möchte ich dir noch ein Beispiel aufzeigen um das Modell (so wie ich es interpretiere zumindest) zu erklären. Laut eines anderen Modells löst übrigens das Beispiel im Schnitt eher wenig Stress aus, das Prinzip lässt sich aber auf alle Arten von Stress und alle Bereiche des Lebens übertragen.

Du hast Ärger mit deinem Vorgesetzten.
Primäre Bewertung: Gefährlich. Mögliche Abstufungen:
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Herausforderung: Jetzt muss ich ihn wieder beruhigen und erklären, was passiert ist, um die Wogen zu glätten.
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Bedrohung: Wenn ich das nicht kläre, verliere ich eventuell meinen Job!
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Verlust: Jetzt ist ihr Bild von mir noch schlechter, als es eh schon war. Da kann ich mir eine Beförderung abschminken…
Sekundäre Bewertung:
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Herausforderung: Aber er hört immer nicht zu und glaubt mir nicht, wenn ich erkläre, was passiert ist.
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Bedrohung: Ich werde das absolut nicht erklären können… Ich hoffe er verzeiht mir von sich aus und schmeißt mich nicht raus.
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Verlust: Wie soll ich ihr denn nach der Nummer wieder unter die Augen treten? Mein Ruf ist ruiniert.
Problemorientiertes Coping: Ich bringe der Chefin jetzt einen Kaffee und entschuldige mich ganz demütig, so schaffe ich es schon, sie zu beruhigen.
Emotionsorientiertes Coping: Erstmal gehe ich eine rauchen, heute Abend treffe ich mich mit meinem Kumpel und trinke ein paar Bier. Wenn ich vorher im Fitnessstudio noch ordentlich Gas gebe, dass geht auch die Wut weg.
Bewertungsorientiertes Coping: Na gut, nun ist er wütend. Ich kläre jetzt erstmal, warum der Fehler überhaupt passiert ist. Dann setzte ich mich mit ihm zusammen und kläre die Sache an sich. Und wenn er mich wirklich rauswirft, dann suche ich mir halt einen neuen Job. Für so einen Choleriker zu arbeiten ist auf Dauer eh nicht erstrebenswert. Es gibt also eigentlich gar keinen Grund für mich, sich so aufzuregen…

Ich denke du siehst, worauf es hinausläuft. Du bist Gott, erinnerst du dich? Die Coping-Strategien verdeutlichen das nur wieder. Du hast Macht über die Situation, über deine Emotionen und auch die Fähigkeit, deine Reaktionen zu beeinflussen. Und Stress… Stress machst du dir selbst. Klingt vielleicht nicht schön, ist aber so. Warum lernst du also nicht, ihn zu vermeiden?
Die Hausaufgabe
Wenn du dich das nächste Mal gestresst fühlst oder dir Situationen einfallen, die dich immer wieder stressen, dann gehe das Modell durch. Schreibe auf, was passiert und welche anderen Optionen es gibt. Nutze dies, um zu lernen. Tue dies so oft, bis du merkst, dass es eine Gewohnheit geworden ist,
Stress zu analysieren und zu verarbeiten, statt dich davon treiben zu lassen. Und plötzlich wirst du wesentlich entspannter durch dein Leben gehen.