Einfluss, Handlungen & Verantwortung
Ich habe ja bereits an anderer Stelle den Stoizismus erwähnt. Diese alte römische Philosophie behandelt so gut wie alle Themen, über die wir bereits gesprochen haben, in irgendeiner Weise. Eine der Kernideen der Stoiker finde ich jedoch besonders wichtig. Auf dieser Idee lässt sich dann eine Kette von Fragen aufbauen, die dir helfen kann, gelassener durch dein Leben zu gehen und deine Ziele viel problemloser zu erreichen. Es geht dabei um die folgende Frage: Steht oder stand es in meiner Macht, dies zu beeinflussen?

Klingt erst mal ganz einfach, sagst du. Ist es auch. Aber überlege mal, wie häufig du dir diese Frage wirklich stellst – vor allem, nachdem etwas schief gelaufen ist. Es regnet, du hast deinen Schirm vergessen und wirst nass. Du und dein Partner streitet euch auf dem Weg zu deinen Eltern, weil ihr aufgrund dieses Besuches nicht zur Geburtstagsfeier eines guten Freundes könnt. Ein Kunde ist wütend auf dich, weil du eine wichtige Deadline nicht einhalten kannst – es sind einfach zu viele andere Dinge dazwischen gekommen. Es ist egal, worum es geht. Wenn du dich über irgendetwas oder irgendjemanden ärgerst, betrachte die Situation und frage dich: Steht oder stand es in meiner Macht, dies zu beeinflussen? Sei dabei ganz ehrlich zu dir, sonst macht es keinen Sinn, mit diesen Überlegungen zu beginnen. Dein Ego hast du ja im Griff mittlerweile.
Den Regen abschalten kannst du nicht. Sich jetzt darüber aufzuregen ist Energieverschwendung. Deine Haare trocknen schon wieder. Die Wut deines Partners kannst du nicht beeinflussen. Deine Reaktion darauf aber schon. Versuche, die Wogen zu glätten, anstatt auch wütend zu werden. Kannst du die Deadline mit Überstunden doch noch halten? Wenn nicht, kannst du dem Kunden im Nachhinein etwas Gutes tun, oder wird er sich einen anderen Anbieter suchen? Mich über seine Wut aufzuregen, bringt mich jedenfalls nicht weiter. So oder ähnlich könnten deine Überlegungen aussehen, wenn du dich fragst, welchen Einfluss du jetzt gerade auf die Situation hast. Analysiere deinen Einfluss im hier und jetzt und handele. Rege dich nicht auf über Dinge, auf die du keinen Einfluss hast.

Denkst du aber an die Auslöser, an die Vergangenheit, denn sehen die Antworten vermutlich anders aus. Und genau darauf bezieht sich die zweite Frage: Habe ich alles in meiner Macht stehende getan, um die Situation in meinem Sinne zu beeinflussen? Ich habe den Regenschirm vergessen. Da war ich wohl etwas zerstreut. Nächstes Mal überrede ich meinen Partner nicht, einen Termin abzusagen, nur weil ich meinen Eltern nicht absagen wollte – die andere Einladung war immerhin früher da. Oder wir teilen uns einfach auf, wäre ja auch kein Problem. Das mit der Deadline habe ich vergeigt. Natürlich wären die anderen Kunden nicht erfreut gewesen, wenn ihre Anliegen etwas länger gedauert hätten. Zukünftig werde ich aber trotzdem ehrlicher sein und meine Zeit besser planen.
Du siehst, du hättest in unseren Beispielen immer anders handeln und dadurch das Ergebnis beeinflussen können. Es ist extrem wichtig, dir das einzugestehen. Dieses Maß an Kritikfähigkeit ist einfach nötig. Denn wenn du tief in dir weißt, dass du etwas hättest tun können, es nicht getan hast und das nicht einmal vor dir selbst zugeben kannst, dann wirst du dich nach und nach immer mehr dafür hassen. Und vermutlich auch dieses Gefühl auf anderen Menschen projizieren, weil du dir auch deinen Selbsthass nicht eingestehen wirst. Übernimm rückwirkend Verantwortung für deine Fehler, lerne daraus, und mache es beim nächsten Mal besser!
Die letzte Frage in unserer Kette hilft dir, die Situation und dich selbst noch besser zu verstehen. Sie lautet: Was hat mich davon abgehalten, die Situation in meinem Sinne zu beeinflussen? Dies ist vermutlich die schwierigste Frage, weil neben Ehrlichkeit auch Selbstreflexion nötig ist.
Wenn du aber hier in diesem Buch angekommen bist, dann sollte das doch kein Problem für dich sein, oder? Ich habe den Schirm vergessen, weil ich von meinen Gedanken (oder meinem Smartphone) abgelenkt war. Ich werde in Zukunft noch stärker üben, achtsam durch mein Leben zu gehen. Ich habe meinen Eltern nicht abgesagt und meinen Partner überredet, weil ich Angst hatte, dass sie sonst ein schlechtes Bild von mir haben könnten und ich sie nicht enttäuschen wollte. Das ist Quatsch. Meine Eltern hätten es verstanden, wenn ich ihnen die Situation einfach erklärt hätte. Und wenn nicht, ich bin ja auch kein kleines Kind mehr und treffe meine eigenen Entscheidungen. Ich habe zu vielen Kunden zeitgleich meine Zeit versprochen, weil ich Angst vor Konfrontationen habe und es immer allen Recht machen will. Das ist sowohl im Geschäft als auch im Rest meines Lebens nicht gut für mich. Deshalb werde ich daran arbeiten, zukünftig anders mit solchen Situationen umzugehen.
Ich hoffe, die Beispiele sind soweit nachvollziehbar für dich. Weil ich diese Kette von Fragen so mächtig finde, möchte ich dir trotzdem noch einmal ihre Zwecke auflisten:
1. Steht oder Stand es in meiner Macht, dies zu beeinflussen? – Wenn die Antwort nein ist, gibt es keinen Grund, sich aufzuregen. Akzeptiere die Situation und wende dich den Dingen zu, die du beeinflussen kannst. Wenn die Antwort ja ist, gibt es auch keinen Grund, sich aufzuregen. Handele, wenn es noch möglich ist. Lerne daraus, wenn die Zeit zum Handeln verstrichen ist.
2. Habe ich alles in meiner Macht stehende getan, um die Situation in meinem Sinne zu beeinflussen? – Wenn die Antwort ja ist, gibt es keinen Grund, sich aufzuregen, denn du hast dein Möglichstes getan. Akzeptiere die Situation und wende dich den Dingen zu, die du beeinflussen kannst. Wenn die Antwort nein ist, akzeptieren deine Verantwortung an der Situation und schiebe die Schuld nicht auf andere. Beantworte zudem die dritte Frage.
3. Was hat mich davon abgehalten, die Situation in meinem Sinne zu beeinflussen? – Hinterfrage deine Motivation, betrachte deine Ängste und lerne für die Zukunft.
Wenn du es schaffst, die Fragen dauerhaft in deinem Leben zu etablieren, werden sie dir eine gewisse Seelenruhe bringen. Denn es gibt eigentlich fast nie einen Grund, sich aufzuregen. Wenn du Einfluss hast, handele, oder entscheide dich bewusst, nicht zu handeln. Wenn du keinen Einfluss hast, akzeptiere dies und lerne, damit zu leben. Wenn du feststellst, dass du nicht nach diesen Prinzipien lebst, dann weißt du, was du zu lernen hast. Und wenn du die Fragen auf deine Ziele beziehst, findest du ganz schnell heraus, ob du dich selbst manipulierst und dir im Weg stehst oder ob du ganz beruhigt schlafen kannst, weil du schon alles richtig machst.

