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Hell und dunkel

Im letzten Kapitel sprachen wir davon, keine Angst vor den Bewertungen durch andere Menschen zu haben. Es ging also mehr oder weniger darum, sich zu schämen und dir damit selbst Schaden zuzufügen. Als nächstes möchte ich mit der über all die Gefühle sprechen, die nicht negativ gegen dich selbst gerichtet sind, sondern gegen deine Mitmenschen. Der Psychologe Carl Gustav Jung hat den Begriff „Schatten“ geprägt und bezeichnet damit die Teile deiner Persönlichkeit, die deinem positiven Selbstbild und der Rolle, die du im täglichen Leben spielst, entgegen stehen. Und das sind häufig – aber nicht nur! – negative Merkmale und Emotionen, denn diese sehen wir nicht gerne in uns selbst und auch gesellschaftlich sind sie nicht sonderlich beliebt. Trotzdem sind Gier, Neid, Feindseligkeit, Egoismus, Geiz, Weinerlichkeit, Wut, Hass und viele mehr in dir. Wenn du nicht lernst, mit deinem Schatten richtig umzugehen, wird er früher oder später Probleme verursachen. Lass uns deshalb versuchen, deine „dunkle Seite“ zu integrieren. Das wird dir auch helfen, diese in anderen Menschen zu erkennen.

Image by Stefano Pollio

Die Gefahr besteht vor allem darin, unbewusst von deinem Schatten beherrscht zu werden. Du sagst, dass ist Quatsch? Du bist doch ein netter Mensch, tust keiner Fliege was zu Leide? Genau in dieser Einstellung könnte ein Problem liegen. Das sieht dann so aus: Irgendetwas stört dich, du leidest darunter. Du traust dich aber nicht, etwas zu sagen, denn du möchtest keinen Konflikt auslösen, dich schützen, nicht angreifbar sein. Du bist ja gut erzogen, man macht das einfach nicht. Es stört dich aber trotzdem. Weil du nichts sagst, ändert es sich aber nicht. Deshalb wirst du langsam verbittert. Was denken die sich eigentlich? Die müssen doch merken, dass mich das stört. Vielleicht muss ich ihnen mal richtig eins auswischen… Siehst du, was da gerade passiert ist? Du wolltest eigentlich nur den Frieden bewahren, und hast deshalb zurückgesteckt. Dadurch, dass du nicht gehandelt hast, nicht gesagt hast, was du denkst, hast du es aber für dich noch schlimmer gemacht.

Und wenn du am Ende doch handelst – Rache nimmst, wie auch immer – dann ist das mit Sicherheit schlimmer, als wenn du gleich etwas gesagt hättest. Oder du handelst gar nicht und leidest weiter, dann hast primär nur du das Problem, aber indirekt durch deine schlechte Laune auch die Menschen um dich herum. Und die Begründung? Ein „guter Mensch“ sein, so wie es die Gesellschaft vermeintlich von dir erwartet. Wir nutzen die Rolle als „harmlos“ gerne, weil wir für unser Selbstbild und für unser Ansehen die negativen Aspekte unserer Persönlichkeit unterdrücken.

 

Harmlos zu sein bedeutet aber eben nicht automatisch, rechtschaffen oder „gut“ zu sein. Du bist einfach nur harmlos. Wenn du hingegen weißt, dass du Zähne hast, und wie du sie benutzt, dich aber bewusst dagegen entscheidest, dann bist du stark. Und dann gibt es keinen Grund, hinterher verbittert zu sein.

Image by Nadine Shaabana

Wenn du zu viel Mitgefühl hast und zu viel Rücksicht auf andere nimmst, kann es in deinem Leben zudem zu Problemen kommen, weil du in Verhandlungssituationen immer nachgibst. Und davon gibt es mehr, als du denkst. Bei Gehaltsverhandlungen. Unter Freunden, wenn Pläne gemacht werden. In der Beziehung, bei der Einrichtung der Wohnung oder der Frage, was gekocht werden soll. Mit jeder Entscheidung, bei der du aus Angst oder falsch verstandener Rücksicht nicht sagst, was du denkst, obwohl du es gerne möchtest, wächst in dir ein „innerer Psychopath“, der früher oder später dir oder deinen Mitmenschen schaden wird. Deshalb gilt: Entscheide ganz bewusst, ob es nicht besser wäre, etwas zu sagen. Und wenn du dich dagegen entscheidest, tue dies aus voller Überzeugung, damit du nichts hast, worüber du dich hinterher ärgern kannst.

Die Strategie, den Schatten zu integrieren, beginnt wie auch viele andere Dinge in diesem Buch mit einem wichtigen Schritt: Fange an, dich selbst und deine Gedanken genau zu beobachten. Betrachte speziell die negativen Gefühle und Gedanken sehr genau, die dunklen Fantasien, die du vielleicht bezogen auf andere Menschen hast und welche Aggressivität sie in dir auslösen. Knirscht du mit den Zähnen? Verkrampfst deine Muskeln? Verwandelt sich dein Lächeln in eine Grimasse? Wenn du einen solchen Zustand erkannt hast, mache dir den Auslöser klar. Und zwar sehr genau. Gedanken wie „Mein Chef ist doof, weil er mir Aufgaben gibt, die ich nicht mag“ oder „Immer essen wir, was mein Partner möchte und ich muss zurückstecken“ reichen dabei nicht aus. Das ist zu oberflächlich. „Das nervt mich halt“ ist nicht genug. Was genau fühlst du dabei? Fühlst du dich nicht wertgeschätzt und das macht dich wütend? Möchtest du mit entscheiden, weil du es besser weißt, aber dein Wissen wird ignoriert?

Der zweite Schritt nach dem Erkennen des Auslösers ist, zu akzeptieren, dass diese Gedanken in dir existieren. Jeder Mensch hat Wut, Egoismus, Feindseligkeit und so weiter in sich. Auch wenn du dich selbst „im Griff“ hast, die Tendenzen, die Emotionen sind trotzdem da, darüber haben wir ja schon ein paar Mal gesprochen. Das zu verleugnen bringt gar nichts. Wie schon erwähnt: Du bist nicht „schlecht“, nur weil es den Schatten in dir gibt. Es kann dir aber schlecht gehen, wenn du ihn nicht akzeptierst und die Gefühle, die du nicht magst, nicht verdaust. Nimm ihn stattdessen an, um deine „Wahrheit“ abzuleiten. Damit meine ich deine wahre Persönlichkeit. Der Schatten ist ein mehr oder weniger unterdrückter Teil deines Selbst. Je besser du ihn integrierst, desto weniger Gründe wirst du haben, frustriert, verbittert oder wütend zu sein. Außerdem kann es sein, dass du Situationen entdeckst, in denen es vielleicht sogar deine moralische Pflicht ist, etwas zu sagen, weil dein Gegenüber auf dem Holzweg ist und anderen Menschen Schaden zufügt.

Als letztes möchte ich dir an dieser Stelle noch eine Warnung mitgeben: Den Schatten zu integrieren bedeutet nicht, jegliche Grenzen aufzugeben und sich komplett in ein egoistisches Arschloch zu verwandeln. Deshalb ist dieses Kapitel auch an dieser Stelle im Buch. Wichtig ist, das gerade beschriebene Vorgehen immer auch mit dem Wissen über das Ego, den Schmerzkörper und alle anderen Dinge, die du bereits gelernt hast, zu kombinieren. Ansonsten öffnest du deinem Ego Tür und Tor dafür, dich komplett zu beherrschen.

Image by Photo Boards

Die Hausaufgabe

Sobald dich Frustration, Verbitterung, Hass oder Wut überkommen, beobachte die Situation und den Auslöser ganz genau. Akzeptiere deine „dunkle Seite“ und lerne, die Momente zu erkennen, in denen du für dich einstehen solltest, deine Meinung sagen musst, dir etwas Egoismus zusteht, um deinen inneren Psychopathen nicht zu füttern. Es ist für dich und deine Mitmenschen unterm Strich besser, wenn du manchmal nicht nett bist, als wenn du immer nur zurücksteckst.

Der Merksatz

Ich kenne und akzeptiere meine dunkle Seite und integriere sie bewusst in mein Leben.

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